
Raffi
Küstenmutti, militante Übereltern und intolerante Nicht-Eltern
Vor vier Jahren war ich selbst noch keine Mutter. Vor fünf Jahren habe ich noch nicht mal wirklich in Betracht gezogen, eine zu werden. Vor zehn Jahren hatte ich tatsächlich noch die Meinung, niemals eigene Kinder haben zu wollen. Und nun habe ich zwei – weil ich es wollte. Weil sich meine Meinung geändert hat. So ist halt das Leben.
Auf eines bin ich aber stolz – ich habe andere niemals für ihre Meinung in Bezug auf Kinder verurteilt.

Als ich noch keine hatte, waren mir andere mit eben solchen kein Dorn im Auge, jetzt, wo ich welche habe, versuche ich nicht, andere zu bekehren.
Leute, ernsthaft.
Können Eltern und Nicht-Eltern nicht friedlich koexistieren?
Mein Mann und ich haben mit 23 geheiratet. Weil wir es wollten, nicht, weil wir es mussten. Obwohl viele der Meinung waren, wir wären dafür noch zu jung, erwartete plötzlich trotzdem fast jeder, dass ich direkt schwanger zu werden hätte. Wir waren aber noch nicht so weit.
Schwanger wurde ich dann drei Jahre später. Weil es passte. Und damit öffnete sich mir eine komplett neue Welt. Die Welt der…. E L T E R N (baa baaa baaaaaam….) und somit auch die Welt der Nicht-Eltern. Nein, vorher war ich keine Nicht-Mama. Vorher war ich gar nicht existent. Nicht-Mamas lernt man erst als Mama kennen. Ihr werdet noch verstehen, was ich meine. Der einfachheitshalber nenne ich die Nicht-Mamas und Nicht-Eltern zukünftig nur noch Namas und Neltern.
Ich bin also recht vorurteilsfrei Mutter geworden und lernte plötzlich Mütter kennen, die es für das höchste Glück auf Erden hielten, ihren Babys die Windeln zu wechseln und Namas, für die es ein persönlicher Affront war, wenn ein Baby es wagte, im Café zu Töne von sich zu geben.
Eltern gegen Neltern. Das ist die Realität, ihr Lieben. (Natürlich betrifft es nicht jeden, aber wem der Schuh passt, der darf ihn gerne anziehen.)
Plötzlich lese ich bei Facebook Parolen, warum Neltern das wahre Glück, die wahre Liebe versagt bleiben wird – sie haben ja schließlich keine Kinder! Sie werden niemals vollkommen zufrieden sein! Niemals vollständig! So lange sie keine eigenen Kinder haben, werden sie nur Menschen zweiter Klasse sein, unfähig, die volle Bandbreite der menschlichen Emotionen zu fühlen! Es wird Propaganda geführt, warum schlaflose Nächte, vollgekackte Windeln, Fieber, Drei-Monats-Koliken, Schwangerschaftsstreifen, Babykotze und Legosteine als Tretminen die einzig wahren Gründe zum Leben sind. Auf Neltern wird heruntergesehen - sie können das ja alles gar nicht verstehen, sie haben schließlich nichts für den Fortbestand der menschlichen Rasse getan. Kinderwagen werden dreist im Weg geparkt und Kinder werden unbeaufsichtigt im Laden laufen gelassen, es wird geschrien und getobt und manchmal auch zerstört. Beschwert sich jemand, rümpft man nur die Nase und sagt: „Sie können das nicht verstehen, Sie haben ja keine Kinder.“ Oder: „Das sind nun mal Kinder!“
Ehrlich. Ich habe ein eigenes, lautes, manchmal freches und wildes Kind, und trotzdem packe ich mir an den Kopf und bin genervt von so viel Dreistigkeit und Ignoranz. Elternschaft ist doch kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen? Manchmal sind sie genauso furchtbar intolerant wie ehemalige Raucher Rauchern gegenüber.
Ja, manchmal kann ich Neltern, die von unserer Brut genervt sind, absolut verstehen. Wie könnten sie auch nicht? Mein Kind darf spielen und toben und wild sein – aber eben nicht im 4-Sterne Restaurant abends um halb acht. Einkaufen im Supermarkt muss auch kein Besuch auf dem Abenteuerspielplatz sein und ich versuche immer, meinen Kinderwagen am Rand zu parken, damit niemand drüber fällt. Macht mein Kind etwas kaputt, hat es dafür grade zu stehen, beleidigt es jemanden, hat es sich zu entschuldigen. Auch in dem Alter schon. Und wenn nochmal ein fremdes Kind meines von der Rutsche tritt und ich mir von dessen Mama ein „Er wollte ja den Weg nicht frei machen!“ anhören muss, mutiere ich vielleicht kurzfristig zu einer Furie und werfe mit vollen Windeln um mich.
Ja. Ich bin eine Mama und eine Nama.
Ich liebe Nr. Eins und Nr. Zwei über alles und alles, was wir bis jetzt an vollgekackten Windeln und Fieber und schlaflosen Nächten, etc…. mitgemacht haben, war es wert. Ich würde es um nichts in der Welt eintauschen wollen. Und trotzdem kann ich dieses Schönreden nicht leiden, kann ich niemandem vorwerfen, wenn er lieber lange ausschlafen will, keine Legosteine in der Wohnung rumliegen haben will, das er ins Kino gehen will, wann er will und wenn er nicht auf Elternabenden das Für und Wider von Apfelsaft oder Wasser ausdiskutieren will.
Wenn Sonntagmorgen um sechs Uhr die Tür aufgerissen wird, und lauthals nach „EINER FOLGE THOMAS DIE LOKOMOKOTIVE!“ verlangt wird, oder ein Schwimmbadbesuch ausschließlich das Ausharren im wadenhohem Wasser des Babybeckens für mich bedeutet, dann wünsch ich mir auch manchmal klammheimlich ein bisschen mehr Selbstbestimmtheit.
Wenn ich mal mit meinem Mann abends gemütlich Essen gehe, möchte ich auch kein Kindergeschrei, ich gebe es zu – davon hab ich schließlich genug zu Hause. Und beim Einkaufen von einem Gör permanent den Einkaufswagen in die Hacken gefahren zu bekommen, lehne ich vehement ab, ebenso wie stundenlange Diskussionen über selbstgekochte Babynahrung (ich koche und kaufe Gläschen, so siehts aus!) oder Stoffwindeln.
Das mag jetzt ziemlich kratzbürstig vielen Eltern gegenüber klingen, aber glaubt mir, genauso habe ich mit vielen Neltern ein Problem. Absolutes Unverständnis habe ich Leuten gegenüber, die über stillende Mütter die Nase rümpfen (obwohl ich nicht stille), die sich in Familienhotels über Kinderlärm beschweren (erst nachdenken, dann buchen!) und Restaurants, die nicht einmal einen Wickeltisch besitzen, um ihre Abneigung gegenüber jüngerer Kundschaft direkt kundzutun. (In meiner Stadt gibt es in der kompletten City ganze vier Wickeltische....)
Mein Fazit lautet heute also ganz brav Leben und Leben lassen, ihr Lieben.