- Raffi
Küstenmutti und die Hebamme
Aktualisiert: 5. Mai 2020
Der neue Luxus heißt Hebamme. Zumindest, wenn man vorhat, ein Kind in die Welt zu setzen. Auch wenn man mittlerweile überall davon hört und liest, wird es noch gar nicht oft genug erwähnt. Uns gehen die Hebammen aus. Und zwar rasend schnell.
Was ich selbst für ein Glück gehabt habe, habe ich erst in meiner zweiten Schwangerschaft gerafft - bis dato war ich so blauäugig und dachte, Hebammen sind doch etwas ganz selbstverständliches. Jeder, der eine braucht, bekommt auch eine. Irgendwo blüht ein Strauß Geburtshelferinnen, und man kann sich einfach die beste für sich pflücken.
Als ich mit Nr. Eins schwanger war, habe ich meine Hebamme erst in meinem Geburtsvorbe-reitungskurs kennengelernt.
Ich war naiv und echt uninformiert, ich weiß nicht mal mehr, was ich gedacht habe. Evtl. so was wie: Nach der Geburt bekomme ich automatisch eine.
Als H. während des Kurses dann mitbekam, das ich noch hebammenlos war, bot sie mir ihren vorerst "letzten Platz" an, den ich dankend annahm.
H. war/ist ein Schatz und am liebsten wäre es mir, wenn die ganze Hebammenwelt nur aus H.s bestehen würde, am liebsten würde ich jeder Schwangeren, die mir entgegen kommt, "Nehmt H.!" entgegenbrüllen ... aber die Realität zwingt mich, sie als Geheimtipp nur an Familie und Freunde weiterzugeben.
Während sie bei Nr. Eins erst zur Nachsorge tätig werden konnte, beriet sie mich bei Nr. Zwei schon während der Schwangerschaft.
Sie half mir bei meiner Übelkeit, machte Akkupunktur, wenn mein Ischias sich meldete, zeigte mir Übungen und war einfach da, wenn ich irgendetwas brauchte. Sie nahm sich immer mehr Zeit, als sie musste. Immer.

Sie lachte mich auch nicht aus, als ich beichtete, das Nr. Eins fast zwei Wochen nach der Geburt immer noch nicht gebadet hatte, weil ich Angst hatte, ihn zu ersäufen. Also fackelte sie nicht lange, badete ihn im Waschbecken und half mir so lange dabei, bis ich meine Scheu überwunden hatte.
Sie wog, fütterte, kontrollierte den Po, den Nabel und das Essverhalten, sie war es, die mir riet, Nr. Eins auf KISS untersuchen zu lassen (zurecht) und die mir verriet, das mein drei Monate altes Baby zu extremen Gefühlen neigen würde (extreme Freude genauso wie extreme Wutausbrüche - und nun ist er fast fünf und es ist so wahr!)
Sie sah aber niemals nur nach den Babys, sie sah auch immer nach mir. Nach Nr. Eins Geburt (eine Not-OP aufgrund eines HELLP-Syndroms) schlich sich fast unbemerkt eine kleine Depression an, die sie rechtzeitig erkannte und mir da durch half.
Sie nahm mich und meine Wehwehchen ernst, trat mir in den Hintern, wenn es sein musste, tröstete mich und ließ mich weinen, wenn ich aufgrund Nr. Zweis andauernder Schreierei nicht mehr weiter wusste. Sie erzählte von ihren eigenen Kindern, von ihren Gefühlen und ich habe mich immer verstanden gefühlt.
Ich habe zwei grundverschiedene Kinder und sie konnte mir bei beiden so oft weiter helfen - und wenn mal wirklich nichts mehr ging, dann ließ sie mich heulen und hörte einfach zu. Sie war immer guter Laune, egal wie gestresst sie war, besuchte mich direkt vor oder nach ihren Diensten, wenn es sein musste.
Und diesen Frauen macht man ihren Job so schwer. Ist das fair?
Die Geburtenrate steigt, aber immer mehr Geburtsstationen müssen schließen, auf drei Geburten gleichzeitig kommt im Schnitt eine Hebamme. Wie kann das sein?
Liebe Leser/innen, informiert euch. Wenn nicht für euch, dann vielleicht für eure Kinder oder Enkel. Und wenn euch das Thema interessiert, kann ich euch nur wärmsten den folgenden Link empfehlen: https://www.hebammenverband.de/aktuell/aktionen/
So, wie ich mich sogar noch an die Hebamme erinnere, die uns wegen meiner Geschwister zu Hause besuchte, werde ich in 30 Jahren auch noch an H. denken. Sie hatte unzählige Geburten vor mir und wird auch noch unzählige nach mir haben, aber für mich ist so jemand wie sie einfach unvergesslich.