
Raffi
Küstenmutti und die Lehren der Kinder

Nr. Eins ist leider fast schon wieder raus aus dem Alter, Nr. Zwei noch nicht ganz drin - im Alter des "das erste Mal etwas entdecken". Ich freue mich jetzt schon drauf, wenn Nr. Zwei das erste Mal bewusst einen Schmetterling, oder einen für ihn besonderen Stein wahrnimmt.
Mir ist vorher gar nicht klar gewesen, wie selbstverständlich die Welt für mich geworden ist. Ich gehe durch die Straßen und sehe alles, nehme es aber nicht mehr wahr. Alles ist alltäglich, die Autos, die Häuser, die Blumen, Bäume, Tiere und Wolken. Diese Dinge sind einfach nur noch da.
Das änderte sich, als Nr. Eins begann, seine Umwelt bewusst zu entdecken. Stundenlang konnte er im Kinderwagen liegend die Bäume über sich hinwegziehen sehen. Bei den ersten Schmetterlingen fing er vor Aufregung an zu sabbern, vor seinem ersten Fliegenpilz hockte er sich auf den Boden und starrte ihn zehn Minuten lang fasziniert an.
Dann traten die Trecker in sein Leben. Dank einem Opa, der nicht nur einen, sondern zwei und einen Radlader besitzt, war diese Liebe wohl vorgezeichnet. Ich hatte vorher nichts, rein gar nichts mit dieser Thematik zu schaffen, ich konnte das eine nicht vom anderen unterscheiden (es interessierte mich auch stumpf nicht) - Nr. Eins jedoch ratzfatz. Waren wir unterwegs, machte er mich auf jedes einzelne Gefährt aufmerksam. (In der Dünge - und Ackerbearbeitungssaison sind das viele....)
Klar konnte das auch nerven, aber meistens steckte mich seine Begeisterung so an, dass ich ihn selbst auf alles mögliche hinwies.
Seitdem er beschloss, dass Marienkäfer seine Lieblingstiere sind, dürfen die kleinen rot-schwarzen Viecher zuhauf in unserem Haus überwintern.
Seitdem er durch die Gärten schlich, an jeder Blume roch und ihren Namen wissen wollte, habe ich meine Leidenschaft für Anemonen, Lilien und Rosen entdeckt.
Seitdem er zwei Stunden lang im Watt Krebse und Muscheln gesammelt hat, überwinde sogar ich mich ab und zu, barfuß durch den Schlick zu waten.
Ich erfreue mich plötzlich wieder an besonderen Wolkenformationen, sammle besonders hübsche Steine und bastel Kastanientiere. Ich backe plötzlich Pfannkuchen und baue Sandburgen.
Kinder lehren einen tatsächlich, die kleinen und einfachen Dinge wieder wahrzunehmen und schätzen zu lernen - vorausgesetzt, man lässt sie.
Als Nr. Eins mein Smartphone das erste Mal bediente, wurde mir, überspitzt gesagt, das Wunder der Technik eigentlich erst richtig bewusst. Smartphones, Tablets, etc... sind so allgegenwärtig und normal geworden.... aber wenn man sie mal mit den Augen eines Kindes sieht, sind sie nochmal so abgefahren.
Kinder zeigen allerdings auch die eigenen Unzulänglichkeiten auf. Seitdem Nr. Eins so viel wissen will, fällt mir auf, wie viel ich eigentlich nicht weiß... oder wie ich es kindgerecht erklären soll. Was ist eine Stunde, wenn das Kind nicht mal den Begriff Minute oder Sekunde begreifen kann? Wie kommt der Film von der DVD auf den Fernseher? Warum wächst Papas Bart so schnell? Was ist das Internet? Wieso ist es jetzt (nach der Zeitverschiebung) so hell abends? Wie entsteht der Badeschaum? Wieso hat Opa einen Krebs? Was ist das da vorne im Auto? Ein Drehzahlmesser? Und was ist das? Was heißt Sterben?
Es ist spannend. Ich kann von mir selbst behaupten, disziplinierter geworden zu sein durch meine Kinder. Ich schiebe nichts mehr auf, erledige die meisten Dinge direkt - ich weiß ja nie, ob ich später noch dazu komme. Und während ich Bücher mit den Kleinen lese, lerne ich auch wieder dazu. (Einmal sagte ich "Eskimo" und mein 3-jähriger korrigierte mich total entrüstet : "Mama, das heißt doch Inuit! Eskimo heiß Rohfleischesser und das sagt man nicht mehr!" Ich bin fast vom Hocker gefallen.... tja, auch im Kindergarten wird viel gelernt.) Supermom lässt grüßen.
Es ist auch anstrengend. Manchmal möchte ich beiden Kindern den Mund zutackern und Nr. Eins beim nächsten "Warum?" einfach nur laut "DAAAARUUUUUUM!" entgegen brüllen, manchmal bin ich das Erklären leid und möchte mir einfach etwas ausdenken, dann rufe ich mir aber ins Gedächtnis, dass ich froh sein kann, mit neugierigen, wissbegierigen und klugen Kindern (ich gehe man davon aus, das Nr. Zwei keine Hohlfritte ist, auch wenn er noch nicht "warum" fragen kann...) gesegnet zu sein.
Es ist wundervoll.