- Raffi
Küstenmutti und das Ding mit dem Spiegel
Kennt ihr so Momente, in denen ihr euren Kindern zuhört, oder sie beobachtet und euch dann 1:1 wiedererkennt?
Und wie zwiespaltig ihr euch dann fühlt? Schimpfen oder ein Highfive geben? Erfreut oder besorgt sein? Ich meine, hey, falls ihr etwas anderes angenommen haben solltet - ich bin nicht perfekt (Und jetzt alle so: Whaaaat?!) und manche meiner Wesenszüge sind... anstrengend. Stressig. Nervig. Für mich, wie auch für andere.
Oh, ich denke, ich kann auch durchaus sympathisch sein, ich habe Humor, Organisationstalent, ich bin kreativ und ich helfe gerne. Stinkt es hier jetzt?
Aber ich bin auch ganz furchtbar ungeduldig und ein ätzender Kontrollfreak. Ich bin kein Freund von Gruppenarbeiten und übernehme gerne die Führung, rumtrödeln macht mich wahnsinnig, ich bin jetzt nicht so die entspannteste Person. Diskussionen im Familienchat enden immer mit meinem "So, stop jetzt, wir machen das so und so."
Als ältestes von sechs Kindern neige ich heute noch dazu, ungebetene Ratschläge zu erteilen und muss mich von meinem Mann immer mit einem "Sie sind erwachsen, lass das!" bremsen lassen.
Sich selbst reflektieren ist oft gar nicht so einfach (und auch nicht immer schmeichelhaft), durch die Kinder passiert das aber zwangsweise (leider) öfter als gewollt.
Es sind die Momente, in denen der dreijährige von der Rückbank im Auto "Aaaaalter, fahr doch!" brüllt. In denen er sich sehr schwer mit Entscheidungen tut

, in denen man ihn unter der Decke mit einem Buch erwischt, obwohl er längst schlafen sollte. Ich verstehe ihn wohl, wenn er mitten in der Nacht wach wird und sich stundenlang hin und her wälzt.
Es sind die Momente, in denen der sechsjährige vor Wut heult und zum Jähzorn neigt.
In denen er ins Kissen schreit wegen Nichtigkeiten und das Spielbrett vom Tisch fegt, weil er verloren hat (Hey, ich kann ihn soooo was von verstehen. Ich HASSE das Verlieren. Ich liebe Spiele, aber h a s s e es, zu verlieren. Stattdessen höre ich mich dann "Ist doch nicht schlimm, nicht jeder kann gewinnen!" oder "Wenns keinen Spaß macht, lass es doch bitte einfach!" säuseln... ja, ja, heucheln kann ich.) Wenn er absolut nicht abwarten kann, alles sofort sein muss, wenn er sich beim Aufräumen in anderen Dingen verliert und wenn er einfach nicht aufhören kann zu reden, es macht mich manchmal w a h n s i n n i g.
So stolz es mich macht, wenn ich meine Backbegeisterung und meine Liebe zu Büchern in ihnen wiederentdecke, wenn ich mit ihnen stundenlang im Garten arbeiten kann und sie genauso gerne am Meer sind wie ich, so rasend - oder auch hilflos - machen mich eben meine negativen Züge an ihnen.
Wenn sich zwei emotionale Wutköpfe aneinander aufreiben - und ich ja die Erwachsene, vernünftige sein muss - ist das wirklich, wirklich anstrengend.
Wie blöd ich mir vorkomme, von Teamwork zu predigen, wenn ich genau weiß, wie nervtötend es sein kann, wenn dein Team nur aus Nulpen besteht.
Wenn die Lehrerin dir sagt, dein Kind hat einen enormen Mitteilungsdrang, der manchmal über das Melden hinausgeht und ich in meinem eigenen Zeugnis ja stehen habe: "Raffaela redet im Unterricht gerne dazwischen"..., dann finde ich Erziehung echt blöd, weil sie mir nicht ehrlich vorkommt.
Klar, ich lasse das alles deswegen nicht einfach laufen.
Ich habe in meiner Jugend (Ok, j e t z t bin ich wohl wirklich alt.) z. B., ordentlich Party gemacht und werde trotzdem predigen, wie schädlich Alkohol ist. Natürlich benutze ich auch mal nicht die Ampel, wenn ich alleine bin, meine Kinder müssen die 200 m zur Ampel aber definitiv zurücklegen.
Der Spiegel, den meine Kinder mir ständig vorhalten, sensibilisiert mich allerdings bei allem Ärger auch ungemein und hilft, mich besser in sie hineinzuversetzen. Ja, manchmal wünsche ich ihnen weniger von meinem aufbrausendem Wesen und viel mehr Gelassenheit, aber es ist wohl wie mit allem im Leben - man kann nicht nur das Gute nehmen und das Schlechte nicht wollen.