- Raffi
Küstenmutti und das Gendergedöns

Vorweg. Damit hier keiner weinend in der Ecke stehen muss - ich bin absolut der Meinung, jeder wie er will. Frei nach Kant - so lange kein anderer drunter leidet.
Es gibt ja immer mal so "Saison-Themen", plötzlich hört und liest man an jeder Ecke über das gleiche Thema. Und jeder hat seinen Senf dazu abzugeben, hundert Meinungen, es wird sich echauffiert und (oft sehr unsachlich) diskutiert.
Und jetzt?
Habt ihr das toll gemacht. Jetzt kommt nämlich mal mein Senf dazu.
Für manche ist der Ausdruck Gendergedöns vielleicht etwas respektlos. Ich nehme Gleichberechtigung in allen Bereichen durchaus ernst. Aber ich bin wirklich, wirklich, wirklich (wirklich, hört ihr!) genervt von diesem Thema.
Ich meine, hey. Wir haben 2019. In Worten: Zweitausendundneunzehn.
Wie kann es sein, das wir immer noch diskutieren, was ein Junge und ein Mädchen dürfen und müssen und sollen?
Bevor hier jetzt aber alle fleißig nicken und "Jaaa, genau, zeigs ihnen!" brüllen - lässt eure Fackeln und Mistgabeln vorsichtshalber noch im Schuppen. Am Ende dieses Textes wollt ihr vielleicht doch auf mich losgehen und da will ich mich doch lieber absichern.
Ich habe nämlich genau das, was andere als "typische" Jungs bezeichnen - etwas, das man heute ja gar nicht mehr zugeben darf.
Wie jetzt, deine Jungs besuchen nicht das Ballett? Waaaas?! Sie haben nie mit Barbie © gespielt? Schande! Schande! Schande!
Warum ich ihnen das antun kann? Vielleicht bin ich eine #rabenmutter. Das ist ja auch in irgendwie. Aber vielleicht bin ich ja auch einfach nur eine #gutemutter und klopfe mir mal selbst auf die Schulter.
Wir leben nämlich nicht nur nach Immanuel Kants Ding mit der Freiheit - wir mögen auch Rousseaus Aussage dazu :
"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will."
Das bedeutet. Meine Jungs müssen sich nicht die Nägel lackieren. Sie müssen sich keine Puppen
wünschen. Sie dürfen kurze Haare haben. Ihre Lieblingsfarben dürfen grün und blau sein.
Sie werden deshalb keine misogynen (ihr merkt, ihr bekommt hier richtig Bildung geboten heute!) Machos, für die Empathie ein Fremdwort ist. (Ist es eins für dich, frage Dr, Google. Oder spiele mit Puppen. Das soll ja helfen.)
Menschen neigen oft zu Extremen. Wurde alles vorher strikt nach blau und rosa getrennt, wird jetzt versucht, den Kindern auf Teufel komm raus die Gegenseite aufzuzwingen.
Will ein Mädchen lieber blau tragen, auf Bäume klettern und Rennfahrerin werden - bitte danke.
Will ein Junge lange Haare haben, eine Handtasche mit sich rumtragen und Erzieher werden - bitte danke. (By the way - ernsthaft. Männer, wo seid ihr? Kitas können wirklich mehr von euch vertragen!)
Aber bitte.
Versucht nicht, einem absolut desinteressierten Jungen die Puppe aufzudrängen, oder das rosa Shirt, wenn er es nicht will.
Versucht nicht, ein absolut desinteressiertes Mädchen zum Treckerfahren zu bewegen, oder zum Fußball zu zwingen, weil - ein Mädchen darf das ja auch!
Wenn ein Mädchen auf Einhörner, Glitzer, pink und Tütüs steht, dann ist das ihr Recht. Sie wird deshalb nicht weniger Durchsetzungsvermögen besitzen, als ihre hosentragende Sitznachbarin, die mit ihren Brüdern am liebsten auf Bäume klettert. Diese kann im Gegenzug trotzdem eine tolle Mutter werden.
Meine Jungs haben ihre erste Zeit auf einem kleinen Pferdehof verbracht. Zusammen mit Hund und Katz und (ihr glaubt es kaum!) Pferd. Natur ohne Ende.
Ausgangspositionen waren für beide also quasi die gleichen.

Nr. Eins hat die Pferde von Anfang nicht interessiert. Er hat zwar dann und wann mal Hufe ausgekratzt - aber eigentlich hat er nur auf Opa gewartet, um Trecker, oder Rasenmäher fahren zu dürfen. Platz abziehen, ein Spaß! Pferd streicheln? Hm... Jetzt? Ok. Aber dann zum Radlader, ja? Oder ein bisschen Schrauben? Die Werkbank zu Weihnachten, ein Traum!
Er ist heute noch unglaublich technikaffin. Blau ist seine Lieblingsfarbe, mit anderthalb, zwei Jahren brachte er mir den Unterschied zwischen Trecker und Radlader bei. Mit vier begann er komplizierte Lego © sets aufzubauen. Eisenbahnen, Autos und sprechende Baumaschinen bestimmten das Fernsehprogramm. Und das lag nicht daran, das wir ihm keine Auswahl gegeben haben. Die Biene Maja liegt immer noch im Schrank. Er bekam einen Puppenbuggy - in dem er dann stur seine Autos transportiert hat.
Seine Hosen sind an den Knien immer kaputt, er ist abends immer dreckig, wenn er draußen gespielt hat, er ist laut und er liebt Achterbahnen - je oller, je doller.
Nr. Zwei ist ebenfalls eine kleine Wühlmaus - aber er liebt Tiere. Die Pferde müssen regelmäßig

besucht werden, Regenwürmer, Nacktschnecken (ja.... habt Mitleid, bitte...) und Kellerasseln (er nennt sie liebevoll Kelli) werden als Haustiere bezeichnet, Spinnen findet er faszinierend und er ist sehr sensibel, wenn es zu laut und trubelig ist, in Karussells geht er mit fast vier Jahren immer noch nicht gerne, aber Zugucken ist voll sein Ding. Baustellen und Bahnhöfe - da planen wir dann Extrazeit ein.
Auch seine Lieblingsfarbe ist blau, er kennt quasi jeden Dinosaurier und sammelt Autos.
Beiden brauchst du mit pink nicht zu kommen. Oder ihnen die Nägel lackieren wollen. Und wissen ihr was?
Das ist absolut in Ordnung. Auch das ist Diversität.
Seit April bin ich auch Mutter einer Tochter. (Ja, Gratulationen werden immer noch gerne angenommen.)
Wir werden sehen, wohin die Reise geht. Ich sage zwar gerne, mir kommen keine Einhörner und Flamingos ins Haus (ja, das geht an euch!) und momentan trägt Nr. Drei gerne blau und braun, aber wenn sie soweit ist, zu entscheiden, dann werde ich eben gegebenenfalls auch Einhörner und Flamingos akzeptieren, oder mit ihr Elsa und Anna spielen. Und falls auch sie lieber mit Autos als mit Puppen spielt - dann ist so.
